Spinner von Benedict Wells

*Werbung/unbezahlt  


Erster Satz:

"Ich habe diese eiskalten Hände."


 

Schule, Ausbildung oder Studium, Eintritt ins Berufsleben, Hochzeit, Eigentum, Kinder kriegen - so sähen die meisten Eltern ganz sicher gerne den Werdegang ihrer Sprösslinge, denn genau diesen Weg sieht auch die heutige Gesellschaft nun einmal als Norm an. Immer schön geradeaus, besser nicht - und auch nicht kurz - mal nach links oder nach rechts abbiegen. Aber was ist, wenn die Karten von Anfang an schon falsch gemischt sind? Wenn es nur noch einen Elternteil gibt und die Geschwister wie Fremde miteinander umgehen? Wenn der Grundstein der Norm wackelt und die Substanz ganz heftig am bröckeln ist? - Dann existiert die Gefahr, vor sich und der Gesellschaft nicht bestehen zu können und ein Leben als Zuschauer von außerhalb zu führen.

 

Jesper Lier ist 20 und einer jener Gestrandeten, die ihren Platz im Leben einfach nicht finden. Die großen Träumen hinterherjagen, sich nicht anpassen können oder wollen und wie ein Korken auf dem Wasser hin und her trudeln. Die traurig und verunsichert sind und vor allem eins: ganz furchtbar einsam. 

 

Jesper ist schon zu Schulzeiten introvertiert und überspielt seine Unsicherheit anderen Menschen gegenüber mit ironischen und flapsigen Sprüchen. Ihm fehlt ein fester Halt in seinem Leben, den ihm seine Eltern und vor allem sein Vater nicht geben können. Als dieser dann stirbt, zieht es Jesper völlig den Boden unter den Füssen weg und er muss raus. Raus aus dem heimischen München und rein in die große Welt. Nach Berlin.

 


"Das Schreiben war mein Joker gewesen, nun würde ich mich dem wirklichen Leben stellen müssen, und das wirkliche Leben schien eine Nummer zu groß für mich." Zitat Seite 223


 

In der Hauptstadt hält er sich eher schlecht als recht über Wasser, wohnt in einer Kellerwohnung und verdient gerade so viel, dass es bis zur Hälfte des Monats reicht. Eigentlich muss man ihm Respekt zollen, denn er nimmt für seinen großen Traum, Schriftsteller zu werden, sämtliche Ungemütlichkeiten in Kauf. Dass ihn sein Traum allerdings auffrisst, dass er viel zu viele Schlaftabletten nimmt und doch unter massiven Schlafstörungen leidet, dass er zu wenig isst und zu viel Alkohol trinkt, wird ihm erst nach und nach bewusst. Wenn er schreibt, ist er in seinem Element und wie von Sinnen und man bekommt den Eindruck, dass sein Roman "Der Leidensgenosse" seine große Liebe und gleichzeitig sein Untergang ist. Über 1200 Seiten umfasst das Buch bereits und Jesper weiß selber nicht mehr so genau, worum es eigentlich geht, da er viele Szenen unter Drogeneinfluss geschrieben hat.

 

 

Die einzige Konstante in Jespers Leben ist sein Kumpel Gustav, der immer ein offenes Ohr für ihn hat und sich unerschütterlich beleidigen lässt, wenn Jesper wieder mal wegen nichts ausflippt, was zunehmend öfter vorkommt.

 

Wir begleiten in diesem Buch eine Woche im Leben eines depressiven Zwanzigjährigen, der weiß, dass er nichts an seinem Zustand ändern kann, so lange er nicht mit sich selbst klarkommt. Der weiß, dass es zu viele ungestellte Fragen gibt und zu viele Gesten und Gespräche, die niemals stattgefunden haben und für die es auch teilweise zu spät ist.

 


"Ich stellte mir vor, abzuhauen und irgendwo ein neues Leben anzufangen, mit neuen Menschen, die mich und meine Fehler nicht kannten. Und denen würde ich dann bis zu meinem Tod was vorspielen. Die perfekte Lüge: Ich würde so tun, als wäre ich einfach nur glücklich." - Zitat Seite 225


 

Im wahren Leben würde ich mit Typen wie Jesper nichts zu tun haben wollen, Typen, die grundsätzlich alles schlecht reden, furchtbar selbstmitleidig sind und ein Garant für miese Stimmung. Im Roman hingegen finde ich gerade diese Art Mensch sehr unterhaltsam. Vielleicht, weil sie mir klar macht, dass ich selbst zum Glück nicht so bin und in allem immer noch versuche, etwas Positives zu sehen und mich an Kleinigkeiten erfreuen kann?

 

Jesper ist ein Suchender, ohne Zweifel. Auf der Suche nach sich selbst, auf der Suche nach einem Sinn im Leben, auf der Suche nach Bindung zu seiner Familie. Wo anfangs Hopfen und Malz verloren zu sein scheint und wo man mittig Jesper eigentlich schon abgeschrieben hat, merkt man am Ende, dass es doch immer noch schlimmer geht. Trotzdem macht das Buch Hoffnung.

 

Benedict Wells hat "Spinner" mit gerade einmal 19 Jahren geschrieben - Jesper ist in dieser Geschichte 20, da fragt man sich natürlich unweigerlich, inwiefern Parallelen zu Wells eigener Jugend bestehen. Fakt ist jedoch: "Spinner" war der erste Roman des Autors und hat mich sehr beeindruckt. 4 VON 5 GLITZERSTERNEN

 


INFOS ZUM BUCH

 

TITEL: Spinner

AUTOR: Benedict Wells

VERLAG: Diogenes (www.diogenes.ch)

 

ISBN: 978-3-25724-384-0

ERSCHIENEN im August 2016

FORMAT: Taschenbuch

SEITEN: 320

PREIS: 12,00 Euro