Buchbesprechung: "Sturmvögel" von Manuela Golz

Rezensionsexemplar 


Erster Satz:

"Sie war unendlich dankbar für ihr Leben."


 

Sturmvögel wurden sie genannt, jene Männer, die im Spätherbst nach langen Monaten beim Walfang auf hoher See wohlbehalten wieder im heimatlichen Hafen ankamen. Sturmvögel waren raue Männer, die die Arbeit nicht scheuten und keine Angst kannten. Sturmvögel wussten um das Auf und Ab der Wellen - sowohl auf dem Meer als auch im Leben auf dem Land, innerhalb der Familie und der Ortsgemeinschaft.

 

Als Sturmvogel könnte man auch Emmy bezeichnen und das hier ist ihre Geschichte.

 

 

 

Inspiriert vom Leben ihrer Großmutter Emmy hat die Autorin Manuela Golz diesen Roman geschrieben, der mich von der ersten Seite an gepackt und nicht mehr losgelassen hat.

 

Emmy wird 1907 auf einer kleinen Insel geboren, die einst zu Dänemark gehörte, heute jedoch zu Schleswig-Holstein. Ihr Vater Andries ist wie die meisten Männer der Insel Walfänger und oft monatelang auf See, ihre Mutter Janne kümmert sich um Haus, Hof und die Töchter. Ein Sohn ist den Petersons nicht vergönnt, was Janne immer mehr in die Depression treibt. Man lebt im Einklang mit der Natur, hat ein warmes Dach über dem Kopf und muss keinen Hunger leiden. Es geht beschaulich zu auf der kleinen Insel - abgesehen von den ständigen Reibereien mit Großmutter Alma, die keinerlei Wiederworte duldet und eine Schulbildung für Mädchen für ausgemachten Blödsinn hält.

 

Emmy jedoch liebt die Schule und freut sich jeden Tag aufs Neue, dorthin gehen zu können. Sie ist sehr wiss- und lernbegierig und ein fröhliches und fleißiges kleines Mädchen.

 

 


Dann jedoch bricht der erste Weltkrieg auch über die kleine Insel herein. Plötzlich weht ein anderer Wind, plötzlich ist nichts mehr wie vorher. Emmys Schwestern werden nach dem Krieg als Waisen über halb Europa in Pflegefamilien verteilt, Emmy selber ist alt genug zum Arbeiten und kommt in Anstellung als Hausmädchen zu einer wohlhabenden Familie nach Berlin.


Berlin, diese Stadt, die niemals schläft und voller Trubel, Lärm und Menschen ist, ist für Emmy ein kompletter Kulturschock. Zu Ihrem Glück findet sie in ihrer Arbeitsstelle aber Verbündete unter den Kollegen und wagt sich mit ihnen schnell wieder aus der Deckung heraus, genießt sogar all die bis dato unbekannten Amüsements, die die Stadt zu bieten hat.


Emmy wäre allerdings nicht Emmy, wenn sie mit ihrer frechen und direkten Art nicht ohne Rücksicht auf Verluste den Männern den Kopf verdrehen würde. Auch denen, die weit über ihrem Stand sind, sich ihr aber trotzdem nicht entziehen können. Dass es hier zu Reibereien kommt, ist klar. Dass Emmy nicht einen Millimeter nachgibt und sich immer selbst treu bleibt, ebenso.




"Du kannst aus mir keine Grande Dame machen. Ich bin einfach die, die ich bin. Versteh das doch endlich! Du dinierst, ich esse. Du flanierst, ich gehe. Du willst flambierte Crepe mit Himbeergeist, ich mag Kartoffelpuffer mit Apfelmus. Du willst in Ausstellungen, ich in den Zoo. Das war nie anders - aber mit einem Mal stört es dich. Was soll das?" - Zitat Seite 172



Aber natürlich passiert das, was sich schon längst abgezeichnet hat: Emmy wird ungewollt schwanger, muss heiraten und sich fortan mit einer sie hassenden Schwiegermutter herumplagen. Dann kommt der zweite Weltkrieg, Emmy hat mittlerweile drei Kinder und muss einen Verlust verschmerzen, von dem sie sich lange nicht erholt.


Dieses Buch ist in Zeitabschnitte eingeteilt und springt immer zwischen der Vergangenheit und den Jahren 1994/95 hin und her. Allerdings gut kenntlich gemacht mit Datumsangaben, so dass man nicht durcheinander kommt.


Im Jahr 1994, als Emmy bereits 87 Jahre alt ist und auf ein erfülltes, jedoch auch hartes Leben zurückblickt, mit sich selbst völlig im Reinen ist und immer noch ihrer Schnodderschnauze treu bleibt, ereignet sich etwas sehr Interessantes: Ihre Kinder finden in Emmys Keller Unterlagen, die darauf schließen, dass ihre Mutter mehrere Grundstücke in Potsdam besitzt. Grundstücke, die zu diesem Zeitpunkt ein Vermögen wert sind. Der Nachwuchs hat also bereits Dollarzeichen in den Augen. Doch es soll ganz anders kommen...




Emmys Lebensgeschichte hat mich sehr mitgerissen, mich mit ihr hoffen, freuen und leiden lassen. Eine außergewöhnliche Geschichte einer starken Frau mit einem riesengroßen Herzen, die in einem so eingängigen Stil geschrieben ist, dass mir auf keiner Seite langweilig wurde.



MEIN FAZIT:

Toll erzählt. Spannend, herzzerreißend, teilweise lustig. Eine Lebensgeschichte, die zwei Weltkriege umfasst, ein Leben, das sich nie unterkriegen lässt, das vielleicht mal stolpert, aber nie hinfällt. Ganz große Empfehlung!


5 von 5 Glitzersternen





INFOS ZUM BUCH


TITEL: Sturmvögel

AUTORIN: Manuela Golz

VERLAG: Dumont Verlag


ISBN: 978-3-8321-8137-6

FORMAT: Gebunden

PREIS: 22,00 €

SEITEN: 334



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