Buchbesprechung: "Café Leben" von Jo Leevers

Rezensionsexemplar  

Erster Satz:

"Zwei Tage lang liegt der ordentliche Kleiderstapel am Kanalufer, bevor jemand auf die Idee kommt, die Polizei zu informieren."

 

 

 

Café Leben hatte ich ehrlich gesagt überhaupt gar nicht auf dem Schirm....bis es eines Tages in einem Überraschungspaket vom Droemer Verlag zu mir kam und mich direkt für sich einnahm, denn sowohl Cover als auch Klappentext sprachen für sich. Eine äußerst ungewöhnliche Geschichte hat die Autorin Jo Leevers sich hier ausgedacht, eine ungewöhnliche Geschichte, die von schrägen Charakteren, Zwischenmenschlichkeit und einem Cold Case lebt.


Da wäre zunächst die 32jährige Henrietta, griesgrämig, Single, meistens arbeitslos, zynisch, Menschen hassend. Ich mochte Henrietta von Anfang an, nicht nur, weil sie mit Dave, einem völlig gestörten Hund aus dem Tierheim zusammen lebt. Henrietta hat ein sehr schwieriges Verhältnis zu ihren Eltern, denn nichts, was sie macht, ist für die Herrschaften auch nur ansatzweise gut genug. Nach und nach erkennt man also, weshalb Henrietta gar nicht umhin kam, sich eine Art Schutzpanzer zuzulegen.


Ihr neuer Job ist ebenfalls mehr als ungewöhnlich: Sie soll tagsüber in einem Hospizcafé, eben jenem Café Leben, schwerkranke Menschen über ihre Lebensgeschichte interviewen und das Ganze dann nachmittags in schriftliche Form bringen. Nach höchstens sieben Sitzungen soll daraus ein "Lebensbuch" für die Hinterbliebenen entstehen. Und wer wäre besser für den Job geeignet, als die völlig emotionslose Henrietta, der menschliche Schicksale nun wirklich absolut egal sind?




"Da ist es wieder, denkt Henrietta, dieses altbekannte Gefühl, nicht zum Klub zu gehören und festzustellen, dass alle anderen schon seit Ewigkeiten voll zahlende Mitglieder sind, während sie selbst noch versucht, die Regeln zu durchschauen."

 

- Zitat Seite 97 -

 

 

 

Mit der Mittsechzigerin Annie bekommt Henrietta eine Interviewpartnerin, die Haare auf den Zähnen hat. Die beiden können sich von Anfang an nicht leiden und so richtig begeistert ist Annie von der Idee Lebensbuch sowieso nicht. Wäre sie nicht so schwer krank, würde sie die ganze Sache vermutlich abblasen. Aber die Ärzte geben ihr nur noch wenige Wochen, was soll man da machen? An Zynismus steht Annie Henrietta jedenfalls in nichts nach und die ersten Gespräche der beiden erweisen sich als äußerst schwierig. 

Dann aber erfährt Henrietta vom frühen Tod von Annies Schwester. Davon, dass Kathleen mit 18 unter mysteriösen Umständen ums Leben kam, dass ihre Leiche aber nie gefunden wurde. Und dass Annie schließlich Hals über Kopf den Falschen heiratete, um ihrem Elternhaus zu entkommen. Jede Menge Fragen bleiben hier offen, Fragen, die Annie sich schon lange nicht mehr stellt, denn sie ist einfach zu müde dazu.


Henrietta verbeißt sich jedoch wie ein Pitbull in diesen Cold Case und fängt an zu recherchieren, was damals wirklich mit Kathleen geschah. 




"Sie setzten Zuneigung und Liebe voraus. In ihrem eigenen Elternhaus war Annie nie derart anmaßend gewesen."

 

- Zitat Seite 111 -

 

 

 

Mit Henrietta geschieht etwas, als sie anfängt, diesen Fall zu recherchieren. Sie wird emotionaler und öffnet sich ein wenig den Menschen, traut sich jedoch auch, ihren schrecklichen Eltern endlich mal zu widersprechen. Denn da ist ja auch noch ein Todesfall in der eigenen Familie, für den ihre Eltern ihr seit ihrem neunten Lebensjahr die Schuld geben. Erst Annie macht ihr klar, dass sie damals noch ein Kind war und nicht die geringste Schuld auf sich geladen hat.


Annie hingegen wird sanftmütiger und vertraut sich Henrietta mehr und mehr an, erzählt ihr von ihrer schrecklichen Ehe mit Terry, der sie permanent gedemütigt und geschlagen hat, bei dem psychische und physische Misshandlungen an der Tagesordnung waren. Und trotzdem ist sie bei ihm geblieben. Weil sie nicht anders konnte. Als er zwei Jahre zuvor auf grausame Weise starb, war das wie ein Befreiungsschlag für Annie. 




"Glück? Sie denken, ich habe Glück? Sie klingen wie die Frau vom Wohnungsamt. Stimmt, in den vergangenen zwei Jahren bin ich aufgewacht, ohne mich wie ein Nervenbündel zu fühlen. Aber was ist mit dem Rest meines Lebens - warum konnte ich das nicht schon früher haben?"

 

- Zitat Seite 204 -

 

 

 

Annie läuft langsam die Zeit davon, der Krebs setzt ihr immer mehr zu und teilweise schafft sie es nicht zu ihren Sitzungen zu Henrietta. Die macht sich hingegen Sorgen, wenn Annie nicht auftaucht und besucht sie daraufhin zuhause, kümmert sich um sie, ist für sie da. Ein Wesenszug, der beiden Frauen fremd ist, der sie aber langsam und auf behutsame und vorsichtige Art und Weise zu Freundinnen werden lässt.


Nebenbei forscht Henrietta weiter im Fall Kathleen, stellt das Internet auf den Kopf, befragt diverse Menschen und ist sich nicht zu schade, einige Bahnfahrten auf sich zu nehmen, um vor Ort zu recherchieren. Was sie dabei herausfindet, ist unglaublich....




"Manche Leute sagen, es wird leichter mit der Zeit, aber ich denke, man gewöhnt sich einfach daran. Der Kummer vergeht nicht, man passt sein Leben um ihn herum an."

 

- Zitat Seite 222/223 -

 

 

 

M E I N    F A Z I T

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Auch wenn es zunächst überhaupt nicht danach aussieht, ist "Café Leben" eine sehr warmherzige Geschichte, die von der stetigen Entwicklung seiner - zugegebenermaßen ziemlich schrägen - Protagonistinnen lebt. Aus Abneigung wird eine tiefe Freundschaft und dass der Cold Case um Kathleen dazu einen permanenten Spannungslevel hält, tut sein übriges. Sprachlich schnörkellos und flüssig zu lesen hat mich dieser Roman sehr gut unterhalten.


4 von 5 Glitzersternen 





INFOS ZUM BUCH

 

TITEL: Café Leben 

AUTORIN: Jo Leevers

VERLAG: Droemer Verlag 

ISBN: 978-3-426-28280-9

 

ERSCHIENEN am 02. November 2022

FORMAT: Hardcover

SEITEN: 320

PREIS: 20,00 Euro


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