Buchbesprechung: "Tausend Lichter über der Seine" von Nicolas Barreau

Rezensionsexemplar  


Erster Satz:

"Der November ist bekannt als ein trister Monat, in dem in der Regel nicht viel passiert."




Alle Jahre wieder ist die Weihnachtszeit für mich die Zeit, in der ausschließlich kitschig-romantische Lektüre gelesen wird. Vom ersten Advent bis zum 26. Dezember trieft der Zuckerguss nur so aus den Seiten und mir macht es dann auch überhaupt nichts aus, wenn ich schon auf Seite 10 weiß, wer am Ende zusammen kommt. Ach was, wenn ich das schon anhand der Informationen auf dem Klappentext weiß! Völlig egal! In der Regel mache ich einen großen Bogen um Romane solcher Art, die Weihnachtszeit ist jedoch eine Ausnahme.

 

Fangen wir also an mit Paris im Winter. Hach! Nicolas Barreau, ein Pseudonym, das uns wohl allen bekannt ist, ist ein Garant für Ich-will-jetzt-sofort-nach-Paris-reisen - Bücher. So auch hier. Denn obwohl dieser Roman im tristen und verregneten November beginnt, ist das übliche Paris-Gefühl sofort da und man träumt sich hinüber in die Stadt der Liebe, die hier zudem auch noch weihnachtlich in Szene gesetzt ist mit vielen funkelnden Lichtern.

 

Joséphine, unserer Hauptprotagonistin, graut es jedoch ein wenig vor Weihnachten, denn wie üblich wird sie das Fest im Kreise der Familie verbringen. Im Kreise der reichen Eltern, die ständig an ihr herummäkeln und der perfekten Schwestern mit ihren perfekten Ehemännern, Kindern und Jobs. Joséphine selber hat es beruflich "nur" zur Übersetzerin für finnische Literatur gebracht, während ihre Schwestern Ärztin und Anwältin sind. Die Tatsache, dass Joséphine bisher noch keinen Ehekandidaten mit nach Hause gebracht hat, bedeutet für sie zusätzlichen Stress, denn natürlich kommt dieses Thema immer und immer wieder auf den Tisch.

 

 

 

"Ich meine, wer denkt schon an die Übersetzerin, wenn er ein Buch aus einer anderen Sprache liest? An die Herausforderung, sich fremde Worte zu eigen zu machen und sie dann zu beheimaten in der eigenen Sprache. Neue Bilder zu finden, die am Ende und im besten Fall genau das transportieren, was der Autor sagen will, und dies alles, ohne dass der Leser überhaupt realisiert, dass er eigentlich ein englisches, spanisches, oder gar finnisches Buch liest. Weil es so klingt, als wäre es in seiner Sprache geschrieben."

 

- Zitat Seite 10 -

 

 

 

Dieser November jedoch hat einige unangenehme Überraschungen für Joséphine im Gepäck und dass in ihrer kleinen Wohnung ein ums andere Mal die Heizung ausfällt, ist da tatsächlich noch das geringste Übel.

 

Dem Thema "Der Familie einen Mann vorstellen" ist Joséphine nämlich durchaus nicht abgeneigt. Dumm nur, dass ihrem Freund seit drei Jahren immer wieder was dazwischen kommt und er seiner Frau bisher noch nicht sagen konnte, dass er sie ja eigentlich schon lange verlassen will.

 

Als wäre das alles nicht schon frustrierend genug, flattert Joséphine auch noch die Kündigung ins Haus. Der kleine Verlag, bei dem sie angestellt ist, ist pleite und die Stellenangebote für Übersetzerinnen finnischer Literatur äußerst dünn gesät.

 

Zu allem Übel ist nun auch noch Onkel Albert gestorben, das schwarze Schaf der Familie, der Bruder des Vaters, der seit Jahren gemieden wurde. In seinem letzten Willen vermacht er Joséphine sein Hausboot, das an der Seine vor Anker liegt. Wenigstens ein kleiner Lichtblick, denkt sich Joséphine, denn das Hausboot kann man sicherlich zu Geld machen. Und Geld benötigt sie gerade dringend. 

 

 

 

"Warum musste immer alles so kompliziert sein in meinem Leben? Ich hatte einen Freund und konnte ihn nicht vorzeigen. Ich hatte ein Hausboot und konnte es nicht verkaufen. Ich war eine Übersetzerin und hatte keine Aufträge."

 

- Zitat Seite 135 -

 

 

 

Da hat sie allerdings die Rechnung ohne den Wirt bzw. den Mieter des Hausboots gemacht, den sie in einer eher unschönen Situation kennenlernt.


In Erinnerungen schwelgend betritt Joséphine das Hausboot, die "Princesse de la Loire" und denkt zurück an jenen Sommer, als sie zehn war und glückliche Wochen mit ihrem Lieblingsonkel Albert auf dem Boot verbrachte und jeden Tag irgendwo anders entlang der Loire ankerte. Melancholie kommt auf und Bedauern darüber, dass sie Albert seit Jahren nicht mehr besucht hat. Spontan beschließt sie, diese Nacht auf dem Boot zu verbringen und wird von den seichten Wellen in den Schlaf geschaukelt.....um dann in Panik aufzuwachen, als sich plötzlich ein ziemlich großer und schwerer Mann auf sie fallen lässt.


Maxime, der Mieter, hat nicht mit Besuch gerechnet und Joséphine hatte keine Ahnung, dass das Boot vermietet ist. - Die beiden hassen sich von der ersten Sekunde an. Verständlich, denn Maxime pocht auf seinen Vertrag über fünf Jahre und Joséphine setzt alles daran, ihn per Anwalt vom Boot zu klagen. Sämtliche Verkaufsgespräche macht Maxime von vorneherein zunichte und so steht Joséphine mit diesem Klotz am Bein da. Aber immer noch ohne Job, ohne Geld und ohne Mann.




"Aber es geht weiter, darling", entgegnete Cedric und drückte meine Hand. "Es geht immer weiter. Du weißt doch, dass nichts so stark ist wie ein menschliches Herz, das wieder und wieder bricht und doch immer weiter schlägt."

 

- Zitat Seite 254 -

 

 

 

Nicolas Barreau hat sich meiner Meinung nach bei diesem Buch ein wenig verzettelt und viel zu viel Handlung hineingepackt. Die ewig kritisierende Familie, der man nichts recht machen kann. Der verheiratete Freund, der mindestens einmal pro Woche verspricht, nun endlich mit seiner Frau zu reden. Das Hausboot, das ein Geheimnis um Onkel Albert birgt. Der Mieter Maxime, der ebenfalls etwas verbirgt. Die Arbeitslosigkeit und Jobsuche Joséphines. Die Dramen ihres schwulen besten Freundes Cedric (den ich übrigens von allen Protagonisten am liebsten mag, denn er ist einfach IMMER für Joséphine da und hört sich geduldig jedes Problem an. Wer so einen Freund hat, kann sich glücklich schätzen). Die Verkupplungsversuche ihrer Schwester. Und natürlich wäre es kein richtiger Barreau, wenn es nicht auch um die Liebe ginge....

 

Ich liebe die Romane von Nicolas Barreau, hier hingegen muss ich leider sagen, dass es der schwächste ist, den ich bisher gelesen habe. Weniger Handlung wäre meiner Meinung nach deutlich mehr gewesen.

 

 

 

"Ich sagte mir, dass man immer wieder lesen konnte, dass an Weihnachten in den Familien die Emotionen oft genug hochkochten, weil alte Gräben wieder aufgerissen wurden und Kindheitsmuster griffen, aus denen man sich schon längst befreit zu haben glaubte, doch das war ein schwacher Trost. Ich starrte zu den erleuchteten Fenstern hoch und merkte, wie mich eine dumpfe Traurigkeit erfasste."

 

- Zitat Seite 276 -

 

 

 

Und natürlich wäre es kein Weihnachtsbuch, wenn hier nicht auch das Fest an sich seinen Raum einnehmen würde. Ein Fest im Kreis der Familie, das so aus dem Ruder läuft, dass Joséphine noch vor dem Dessert das Weite sucht....




M E I N    F A Z I T

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Nicolas Barreau vermag es, den Leser sprachlich und bildlich mit dem ersten Satz nach Paris zu versetzen, was die Romane stellenweise fast zu einem kleinen Stadtspaziergang werden lässt, was auch in "Tausend Lichter über der Seine" sehr gelungen ist. Hier wurde jedoch zudem  leider weniger Wert auf die Ausarbeitung der Charaktere gelegt, sondern vielmehr auf möglichst viele Handlungsebenen, was dann schlussendlich auch zu einem völlig abrupten Ende führte, obwohl mindestens ein Handlungsstrang noch gar nicht richtig zu Ende erzählt war.

 

 

 

3,5 von 5 Glitzersternen 





INFOS ZUM BUCH

 

TITEL: Tausend Lichter über der Seine 

AUTOR: Nicolas Barreau 

VERLAG: Kindler (Rowohlt Verlag) 

ISBN: 978-3-463-00017-6

 

ERSCHIENEN am 18.Oktober 2022

FORMAT: Hardcover 

PREIS: 20,00 Euro 

SEITEN: 304


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