Buchbesprechung: "Ein ganz besonderes Jahr" von Thomas Montasser

Erster Satz:

"Hätte jemand durch das Fenster geblickt, er hätte kaum mehr gesehen als den gebeugten Rücken einer mit großer Sorgfalt gekleideten älteren Dame, deren schneeweißer, etwas wirrer Dutt über der Kasse schwebte, von einer müden Deckenlampe in ein gnädiges Licht gehüllt."

 

 

 

Wohl jeder Bücherfreund kennt sie, jene Bücher, die man sich irgendwann einmal anschafft - sei es, weil das Cover einem so gut gefällt oder weil der Inhalt sich interessant anhört. Jene Bücher, die dann aber doch erst mal in den Tiefen der ungelesenen Stapel verschwinden, jene Bücher, deren Zeit einfach noch nicht gekommen ist.

 

Und dann - manchmal erst Jahre später - nimmt man jene Bücher wieder zur Hand, will vielleicht nur mal kurz hineinlesen....und ist fortan zwischen den Seiten gefangen. Genau so erging es mir mit "Ein ganz besonderes Jahr".

 

Dieser Roman kommt sehr leise und behutsam daher, ist der reinste Seelenschmeichler und eine Hommage an das Lesen, an die Bücher und natürlich auch an kleine verwinkelte Buchläden. Buchläden, wie aus der Zeit gefallen, von denen es heutzutage leider nicht mehr allzu viele gibt.

 

 

 

"In der Tat, Literatur kann einen Menschen fesseln und seine ganze Aufmerksamkeit gefangen nehmen. Sie kann uns in andere Welten versetzen und uns der Beschwernisse des Alltags entheben, sodass wir ganz in ihr aufgehen."

 

- Zitat Seite 47 -

 

 

 

Ein ganz besonderes Jahr erlebt in diesem Buch die eher nüchtern veranlagte Valerie, als ihre Tante Charlotte von einen Tag auf den anderen spurlos verschwindet und Valerie vorher noch aufträgt, sich um die Buchhandlung zu kümmern. Valerie, die mit Zahlen umgehen kann aber mit Büchern so gar nichts im Sinn hat. Aber gut, für zwei, drei Wochen wird es schon gehen. Denkt sie....


Aus den Wochen werden Monate, von Tante Charlotte gibt es nicht die geringste Spur und Valerie...die hat sich verändert. Die Buchhandlung hat sie verändert, die Bücher und die Begegnungen mit Menschen und Tieren, die sie immer mal wieder ein kleines Stück ihres Weges begleiten. 


Für Bücherfreunde ist dieser Roman ein kleiner Schatz, denn natürlich geht es um sehr sehr viele teils jedem bekannt Bücher, die Valerie mit der Zeit schätzen und später sogar lieben lernt.




"Valerie gewöhnte sich zunehmend an, Bücher nicht mehr nur auf der ersten Seite aufzuschlagen. Sie begann neugierig zu werden und erforschte, was im selben Moment zu einer ganz anderen Zeit der Geschichte vorfiel. Sie hätte Anna Karenina warnen können. Sie hätte Nicholas Nickleby beigestanden oder Harry Potter. Sie hätte sich unsterblich in Mr. Darcy verliebt, und sie fieberte mit Hal Jam aus Kotzwinkles hintersinniger Parabel Ein Bär will nach oben."

 

- Zitat Seite 146 -

 

 

 

Valeries Leben ändert sich durch das Betreiben der kleinen Buchhandlung grundlegend, wird ruhiger, gelassener und zufriedener. Man freut sich als Leser schon bald darauf, mit ihr vor dem Laden in der Sonne bei einem Tee zu sitzen und einen Plausch mit dem kleinen Jungen zu halten, der immer öfter vorbeikommt oder mit dem persischen Bauarbeiter, der ihr die Autoren seiner Heimat nahe bringt. Absolut entzückend ist Grisaille, eine kleine Ratte, die Valerie öfter besuchen kommt und immer mit einem Schälchen Milch belohnt wird. Ob der Autor hier wohl den allerseits bekannten Begriff  "Leseratte" verewigen wollte?

 

Diese Begegnungen haben alle ihre Zeit und sowohl Mensch als auch Tier tauchen plötzlich auf und verschwinden genauso schnell wieder. Und trotzdem sind sie es, die diesem Buch den letzten Feinschliff geben. 

 

 

 

"Ein Buch zu entdecken, das bedeutete, sich frei über die Notwendigkeiten des Alltags zu erheben und auch das eigene Leben für die Dauer der Lektüre aus dem Hier und Jetzt zu pflücken, um es an einen anderen Ort zu verpflanzen."

 

- Zitat Seite 147 -

 

 

 

Und dann ist da noch dieses eine Buch, das Valerie entdeckt. Das Buch, das den Titel "Ein ganz besonderes Jahr" trägt, auf dem allerdings kein Autorenname steht und das auch nie vollendet wurde. Mit diesem Buch hat es etwas auf sich, es geht geradezu eine Magie von ihm aus. Um das herauszufinden braucht Valerie jedoch einige Zeit. Ein Jahr, um genau zu sein.....

 

 

M E I N    F A Z I T

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Die Geschichte um Valerie und ihre verschwundene Tante, vor allem aber um die Buchhandlung und um all die Bücher, diese Liebeserklärung an die Literatur, hat mich in ihren Bann gezogen. Ich saß so gerne mit Valerie vor der Buchhandlung in der Sonne und habe bei einem Tee aus dem Samowar in unzählige Klassiker hineingelesen, habe mit ihr durch die dunklen Regale der Buchhandlung gestöbert und mich dabei wohl und aufgehoben gefühlt. Dieses Buch umfängt einen wie eine warme Wolldecke und sperrt den Alltag aus. Schickt den Leser für ein paar Stunden an einen anderen Ort und lässt ihn völlig abschalten. Und genau so sollte ein Buch sein! 

 

5 von 5 Glitzersternen 

 

 

 

 

 


INFOS ZUM BUCH 


TITEL: Ein ganz besonderes Jahr 

AUTOR: Thomas Montasser

VERLAG: Piper

ISBN: 978-3-492-30689-8


ERSCHIENEN am 14. Januar 2016

FORMAT: Taschenbuch

SEITEN: 192

PREIS: 11,00 Euro


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