Onkel Hassans wundersame Wiederauferstehung in einem alten Mercedes von Hajar Taddigs (Werbung)


Erster Satz:

"Wenn sie nicht sofort etwas zu essen bekäme, müsste sie verhungern, da war Selma sich sicher."


Nun ist es ja so, dass es schöne Cover gibt, dass es hässliche Cover gibt und dass es ganz besonders hässliche Cover gibt. Dieses hier gehört zur dritten Kategorie. Mehr noch: Für mich persönlich hat es jetzt schon den Preis für das schrecklichste Cover des Jahres 2018 inne. Ernsthaft, manchmal frage ich mich wirklich, was in den Köpfen derjenigen vorgeht, die sowas entscheiden? Im Handel hätte ich einen weiten Bogen um dieses Buch gemacht - und zwar einzig und allein aufgrund des Covers. Und hier zeige ich es Euch gar nicht erst, weil ich es nicht auf meiner Startseite sehen will. So. Klingt vielleicht etwas hart, ist aber meine persönliche Meinung.

 

Kommen wir zu etwas Erfreulicherem: dem Inhalt. Denn der ist - und da schwenkt meine persönliche Meinung dann flugs ins Gegenteil um - wirklich lesenswert. Wir lernen also: Man sollte ein Buch nicht nach seinem Cover beurteilen....aber okay, genug jetzt von selbigem.

 

Wir lernen im ersten Satz also Selma kennen, die kurz vorm Hungertod steht. Und das kommt so: 

 

Wir schreiben das Jahr 1984, es ist Sommer und Familie Özer möchte die Verwandtschaft in der Türkei besuchen. So weit, so gut. Nun muss man aber dazu wissen, dass die Özers in Westberlin wohnen, also somit eine sehr lange Reise und viele Grenzübergänge vor sich haben. Zu allem Übel gesellt sich auch noch Onkel Hassan zur Familie, beschließt, dass er mitfährt in die Türkei und lässt kein "Nein" gelten. Onkel Hassan, von dem keiner so genau weiß, ob er tatsächlich mit den Özers verwandt ist, ist nach eigenen Angaben der erste Türke in Berlin gewesen und sieht sich daher ganz selbstverständlich als Oberhaupt aller Berliner Türken. Steckt seine Nase überall hinein und ist definitiv der unbeliebteste Türke in ganz Berlin. 

 

Nicht nur, dass Onkel Hassan der Familie Özer sowieso schon das Leben schwer macht, muss er noch einen draufsetzen, indem er während der Reise stirbt. In der DDR. Für Beerdigungsformalitäten ist nun wirklich keine Zeit, da man rechtzeitig zu einer Hochzeit in der Türkei sein muss, außerdem gibt es ein viel größeres Problem: Man ist mit fünf Mann in die DDR eingereist, also muss man auch mit fünf Mann wieder ausreisen. 

 

Wie gut, dass die Özers in ihrer Verzweiflung auf Walter treffen, der seinerseits am Leben in der DDR und an seinem Job als Nachtwächter im größten Hühnermastbetrieb des Landes verzweifelt. Da ist die Lösung doch sehr nah, oder? Hassan wird verbuddelt und Walter wird zu Hassan.

 


"Als sie losfuhren, warf Walter noch einen Blick zurück auf die Hühnerfarm. Sie war für ihn eine perfekte Zusammenfassung der DDR. Willenlose Einwohner, eingesperrt in einem viel zu engen Hochsicherheitsgefängnis, das zum Himmel stank." - Zitat Seite 72


Nun geht der Spaß natürlich erst richtig los, denn an sämtlichen Grenzübergängen schwitzen alle Insassen des im Titel erwähnten alten Mercedes (abgekauft von Onkel Hassan....) Blut und Wasser und in der Türkei findet sich Walter in einer völlig anderen Welt wieder. 

 

Wer aber nun glaubt, dass in dieser Geschichte nur Witz und Klamauk enthalten ist, der irrt gewaltig! Natürlich geht es recht witzig zu und gerade die Personen der DDR, denen Walters spurloses Verschwinden nicht lange verborgen bleibt, werden als sehr "speziell" dargestellt. Trotzdem ist da noch so viel mehr in dieser Geschichte: Wissenswertes über das damalige Leben in und das Flüchten aus der DDR, über türkische Gastarbeiter in Deutschland und schlussendlich über türkische Bräuche und Sitten und über Essen. Viel Essen (nach der Lektüre musste ich erstmal dringend meinem türkischen Lieblingsrestaurant einen Besuch abstatten)!

 

Auch Familie Özer ist so ganz anders als es dem gängigen Klischee entspricht, mit einer resoluten und selbstbewussten Mutter, die die Hosen anhat und einem gemütlichen und schluffigen Vater, der nur nach außen hin den Schein wahrt, als hätte er das Sagen, der aber in Wirklichkeit viel zu faul ist, über die Familie zu gebieten. Mit zwei Teenagern, die sich in nichts von westlichen Teenagern unterscheiden - und nun auch noch mit Walter, Mitte 40, DDR-Flüchtling und irgendwie irgendwann fast Familienmitglied der Özers.

 

Die Herzlichkeit dieser Familie fällt dem Leser als erstes auf, ein perfektes Pendant zur Resignation Walters. Der Zusammenhalt und das "Irgendwie wird's schon gehen". Die Gastfreundlichkeit mit der Walter ganz selbstverständlich in der Türkei aufgenommen wird ...und die Dialoge, in denen immer wieder jede Menge Situationskomik zu finden ist, machen das Buch mit diesem ellenlangen Titel zu einer sehr kurzweiligen Lektüre und bekommen von mir 4/5 GLITZERSTERNEN.

 

 


INFOS ZUM BUCH:

 

TITEL: Onkel Hassans wundersame Wiederauferstehung in einem alten Mercedes

AUTORIN: Hajar Taddigs

VERLAG: Blanvalet (www.blanvalet.de)

 

ISBN: 978-3-7645-0629-2

ERSCHIENEN im Oktober 2018

FORMAT: Klappbroschur

PREIS: 15,00 Euro



Offenlegung: Das Exemplar von "Onkel Hassans wundersame Wiederauferstehung in einem alten Mercedes" wurde mir zu Rezensionszwecken kostenlos vom Blanvalet Verlag zur Verfügung gestellt. Diese Tatsache beeinflusst jedoch nicht meine Meinung über Inhalt und Aufmachung des Romans. Denn es gilt: MEIN BLOG - MEINE MEINUNG!


0 Kommentare