Rezensionsexemplar
Erster Satz:
"Es ist ein Samstagmorgen, mitten in meiner Schicht in der öffentlichen Bibliothek in Winter Park, als ich es sehe."
Wir schreiben das Jahr 2005, als die Bibliotheksmitarbeiterin Eva Abrams in Florida eine Entdeckung in der New York Times macht. Eine Entdeckung, die die mittlerweile über 80jährige Eva schlagartig zurück katapultiert in ein früheres Leben, das lange her und fast vergessen ist und von dem ihre Familie nichts weiß. Ein Leben, in dem das Buch der verschollenen Namen eine große Rolle spielte und Eva fast das Leben kostete.
Evas früheres Leben wird ab dem Jahr 1942 erzählt, als sie als jüdische Studentin an der Pariser Sorbonne schon auf der Hut sein muss, sich aber trotzdem noch einen Hauch von Leichtigkeit und Lebensfreude bewahrt hat und ihre Heimat Paris und ihre Familie ihr alles bedeuten.
Mit dieser Lebensfreude ist es schlagartig vorbei, als Evas Vater mitten in der Nacht deportiert wird und Eva und ihre Mutter nur durch einen Zufall durch die Maschen dieser Aktion fallen. Dennoch müssen sie fliehen und finden sich schon bald im kleinen Örtchen Aurignon wieder, das im bisher nicht besetzten Teil Frankreichs liegt.
Und hier beginnt die eigentliche Geschichte: In Aurignon kennt jeder jeden und fast das halbe Dorf unterstützt die Resistance, jene Widerstandskämpfer, die ihre Leben aufs Spiel setzten, um Juden mit falschen Papieren auszustatten und außer Landes zu schleusen.
Eva ist zeichnerisch hoch begabt und so stechen ihrer Herbergswirtin in Aurignon direkt die perfekt gefälschten Ausweise von Eva und ihrer Mutter ins Auge, die nur einen kleinen Fehler haben: Die Mutter ist dort als russische Emigrantin angegeben.... und kann kein Wort russisch.
Man könnte sagen, dass Eva angeheuert wird, fortan Pässe für jüdische Kinder zu fälschen. Und genau das ist der Grund, warum sie und ihre Mutter, die nach der Deportation des Vaters nach Auschwitz nur noch sich haben, auseinander driften.
Eva kommt mir teilweise zu brav vor, sie ist fast schon eine klassische Mitläuferin und versucht, es allen recht zu machen. In Anbetracht der Tatsache, dass sie als Jüdin jede Minute des Tages um ihr Leben bangen muss und dass sie ein Talent hat, das für viele andere Menschen unabdingbar ist, hätte ich ihr eine etwas kräftigere Stimme gewünscht.
Evas Mutter vergräbt sich in ihrer Verzweiflung und überschüttet die Tochter mit Vorwürfen. Gibt ihr die Schuld am vermeintlichen Tod des Vaters und wirft ihr vor, ihren Glauben und ihre Familie zu verraten. Denn Eva fälscht die Pässe in einem Bibliotheksraum der katholischen Kirche und verbringt nach Meinung der Mutter viel zu viel Zeit mit diesen Papisten. Ein Graben tut sich zwischen den beiden Frauen auf, den ich nicht so ganz nachvollziehen konnte, denn sollte man sich nicht gerade in solchen schweren Zeiten gegenseitig unterstützen?
"Die vier Kinder, die Eva heute gesehen hatte, waren nur ein winziger Bruchteil der Waisen, denen ihre Eltern entrissen worden waren. Was würde aus ihnen werden? Würde ihr Leben je wieder normal? War es möglich, etwas wiederaufzubauen, wenn einem nichts geblieben war?
"Wie retten wir sie alle?", fragte sie schließlich flüsternd.
"Mit Mut, Eva." Pere Cléments Antwort kam prompt. "Und ein bisschen Glaube."
- Zitat Seite 213 -
Während es zunächst in Aurignon fast schon beschaulich zugeht, spitzt sich die Lage auch hier bald drastisch zu. Immer öfter kommen Informanten mit Hiobsbotschaften, immer schwieriger wird es, an das Rohmaterial für Ausweise, Lebensmittelmarken und Reisedokumente zu kommen. Als auch Aurignon besetzt wird, setzen Eva und ihre Verbündeten täglich ihre Leben aufs Spiel.
Eva kann jedoch nicht anders, als möglichst vielen jüdischen Kindern eine Zukunft zu ermöglichen und so arbeitet sie nächtelang durch. An ihrer Seite hat sie Rémy und schon bald haben die beiden Gefühle füreinander, die einfach nicht in diese Zeit passen.
Bei ihrer Arbeit als Fälscherin hat Eva große Gewissensbisse dabei, die wahren Identitäten der vielen Kinder auszulöschen. Etliche von ihnen sind zu klein, um sich daran zu erinnern, woher sie kommen und wer sie einst waren und so legen Eva und Rémy das Buch der verschollenen Namen an. In einer alten Kirchenschrift aus dem 18. Jahrhundert werden die richtigen Namen der Kinder chiffriert hinterlegt - in der Hoffnung, eines Tages irgendwem seine wahre Identität zurück geben zu können.
Und genau dieses Buch ist es, das Eva 2005 in einem Artikel der New York Times über einen Berliner Antiquariar entdeckt, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, geplünderte Bücher aus dem Zweiten Weltkrieg ihren rechtmäßigen Besitzern zurück zu geben.
Eva reist nach Berlin.... und erlebt eine Überraschung..
"Das Buch der verschollenen Namen" ist eine mitreißende und aufwühlende Geschichte, in der man mit den Charakteren hofft und bangt und leidet, in der man Verständnis und Sympathien aufbringt und nach der man dankbar ist, niemals einen Krieg miterlebt zu haben.
Kristin Harmel hat einen wunderbar eingängigen Schreibstil, der den Leser von Anfang bis Ende an den Seiten kleben und hoffen lässt, dass vielleicht doch noch....
Denn natürlich ist die unglückliche Liebesgeschichte zwischen Eva und Rémy, der schon bald abkommandiert wird, um jüdische Kinder zur Schweizer Grenze zu bringen, ein Faden, der sich durch das Buch zieht.
Die Hauptgeschichte ist jedoch das Fälschen der Papiere, das quasi unter den Augen der Nazis geschieht, Verbündete und Verräter hervorruft und die Gefühle des Lesers ziemlich aufwirbelt, denn die Autorin wurde hier von einer wahren Geschichte inspiriert. Von der wahren Geschichte eines kleinen französischen Ortes, der im Zweiten Weltkrieg die größte Fälscherwerkstatt des Landes betrieb.
MEIN FAZIT:
Trotz kleiner Schwächen eine großartige Geschichte. 5 von 5 Glitzersternen und eine Leseempfehlung meinerseits.
INFOS ZUM BUCH
TITEL: Das Buch der verschollenen Namen
AUTORIN: Kristin Harmel
VERLAG: Knaur Verlag
ISBN: 978-3-426-22713-8
FORMAT: Paperback
ERSCHIENEN am 01.Oktober 2021
SEITEN: 384
PREIS: 14,99
TITEL DER ORIGINALAUSGABE: The Book of lost Names
AUS DEM AMERIKANISCHEN ENGLISCH VON: Veronika Dünninger
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