Rezensionsexemplar
Erster Satz:
"Am Tag meiner Geburt, dem 3. August 1986, war "The Edge of Heaven" von Wham! auf Platz eins der Charts."
.... was auch direkt erklärt, warum Nina Dean, die Hauptprotagonistin dieses Romans, den ungewöhnlichen zweiten Vornamen George trägt. Diese Hommage an George Michael, den Sänger der legendären Band Wham!, versinnbildlicht in gewisser Weise Ninas Verhältnis zu ihren Eltern und auch das Verhältnis ihrer Eltern zueinander und bekommt später im Buch noch einen sehr tragischen Beigeschmack.
Nina ist Anfang 30, hat sich vor kurzem in London eine schicke kleine Eigentumswohnung gekauft, ist Kolumnistin und Autorin von Kochbüchern und steht mit beiden Beinen fest im Leben. Sollte man meinen.
Wären da nicht die alltäglichen kleinen und großen Dramen sowohl bei ihr als auch in ihrem Freundeskreis. Jene Dramen, mit denen sich der Leser identifizieren kann, die aber auch das Salz in der Suppe dieses Romans sind.
Da wären Lola und Katherine, Ninas zwei besten Freundinnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Lola ist Dauersingle, dauernd am Daten und dauerhaft sowohl voller Hoffnung, DEN einen doch noch zu treffen, als auch voller Angst, ein ewiger Single zu bleiben. Als zynisch, durchgeknallt und verrückt könnte man sie beschreiben, aber auch als loyale Freundin und treue Weggefährtin Ninas. Katherine ist das komplette Gegenteil: Als Vorort-Hausfrau und Mutter von zwei Kleinkinder nimmt sie den biederen Part ein, den Part, der sie immer mehr von Nina entfernt, der irgendwann für einen großen Knall sorgt.
Nina steht geradezu zwischen den Stühlen und ist hin und her gerissen. Einerseits ist sie Single und nicht unbedingt verzweifelt darüber, andererseits wünscht sie sich aber doch einen festen Partner und eine Familie. Interessant sind hier jeweils die Parts ihrer Freundinnen: Lola, die sie dazu drängt, eine Dating-App herunterzuladen und Katherine, die ihr immer mehr das Gefühl gibt, ohne Mann und Kinder weniger wert zu sein.
Gerade letztere Komponente hat die Leserschaft dieses Romans sehr gespalten und einige junge Mütter fühlten sich ein wenig angegriffen. Hier muss ich persönlich allerdings für die Autorin in die Bresche springen, denn genau so ist es meistens wirklich! Sobald eine Freundin Mutter wird, tritt sie einem Club bei, zu dem man selbst keinen Zutritt hat. Sie wandelt sich um 180 Grad und hat kein anderes Thema mehr als den Nachwuchs und tut Dinge, über die sie sonst gelacht hat, als irrelevant ab. Kurz: Sie fühlt sich überlegen und kommt gar nicht erst auf die Idee, dass ihr Lebensglück nicht jedermanns Ziel ist. Genau so habe ich es schon häufig erlebt und genau deshalb habe ich den schwelenden Zwist zwischen Nina und Katherine mit Spannung verfolgt und Nina für das große Finale sehr gefeiert.
Nina, die eigentlich sehr genau weiß was sie will, ist jedoch auch nur ein Mensch. Und auch, wenn sie sehr selbstironisch und zynisch sein kann, wird der Ton des Buches ehrlich dramatisch und geradezu herzzerreißend, wenn es um ihren Vater geht. Früher Professor für englische Literatur und von seinen Schülern verehrt, verliert er nun den Kampf gegen die stetig voranschreitende Demenz. Nina fühlt sich hilflos und von ihrer Mutter, die das Problem scheinbar nicht sehen will und krampfhaft einen auf jung und ungestüm macht, allein gelassen, reagiert jedoch bei jedem neuen Drama bezüglich ihres Vaters ruhig und bedacht. Eine andere Nina kommt hier zum Vorschein, eine Nina, vor der man den Hut zieht.
Und dann tritt Max in ihr Leben. Max, den sie über die Dating-App kennenlernt. Max, mit dem vom ersten Treffen an die Chemie total stimmt. Max, mit dem sie mehrere tolle Monate verbringt, in denen sie schon fast zusammen wohnen. Max, der ihr sagt, dass er sie heiraten will...... Max, der sich plötzlich von einen Tag auf den anderen nicht mehr meldet. Der sie "ghostet".
Ghosting, das Schlussmachen der Generation Social Media ist ein großes Thema und titelgebend in diesem Roman. Nicht nur Nina muss diese Erfahrung machen, auch Lola wird von der Autorin durch das daraus resultierende Gefühlschaos geschickt. Und man fragt sich als Leserin unweigerlich, wie man selber darauf reagieren würde. Ob man genau so wie Nina und Lola agieren würde. Viele haben Ghosting sicherlich schon selbst erfahren müssen und werden nun in ihrer Reaktion bestätigt. Oder auch nicht.
Ein bitteres und dennoch spannendes Thema, das uns das heutige schnelllebige und oberflächliche Miteinander einmal mehr bewusst macht. Das Miteinander der Generation, die mit zu viel Social Media und zu wenig echter Nähe, echter Freundschaft und echter Gespräche aufgewachsen ist und immer noch so lebt.
▪️M E I N F A Z I T▪️
Dieser Roman ist wie eine Pyjamaparty mit der besten Freundin, bei der man mit Wein und Snacks die Nacht durchquatscht. Ein Roman, mit dem man sich identifizieren kann, ein Roman wie das echte Leben. Kurzweilig und in einem eingängigen Schreibstil, ehrlich und schonungslos offen, witzig und dramatisch.
4 von 5 Glitzersternen
INFOS ZUM BUCH:
TITEL: Gespenster
AUTORIN: Dolly Alderton
VERLAG: Atlantik
ISBN: 978-3-455-01109-8
ERSCHIENEN im Februar 2021
FORMAT: Gebunden
SEITEN: 384
PREIS: 22,00 Euro
TITEL DER ORIGINALAUSGABE: Ghosts
AUS DEM ENGLISCHEN VON Eva Bonné
Offenlegung: Dieses Exemplar von "Gespenster" wurde mir vom Atlantik Verlag zu Rezensionszwecken unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Diese Tatsache beeinflusst jedoch in keinster Weise meine Meinung zu Aufmachung und Inhalt des Romans. Wie immer gilt auch hier: MEIN BLOG - MEINE MEINUNG!
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