Kleinstadtkolumne Teil 3 - Die Klatsch- und Tratschzentrale


 

Es ist Sommer in der Kleinstadt (drumherum natürlich auch) und das bedeutet: Der Place to be, der Ort, an dem man sieht und - noch wichtiger - gesehen wird, der Ort, an dem man die allerheißesten News erfährt, ist das Freibad. Wie hoch der Wahrheitsgehalt dieser News ist, ist übrigens nebensächlich - spektakulär müssen sie sein! Man muss dazu sagen, dass es in der Kleinstadt nur entweder oder gibt: Entweder hat das Hallenbad geöffnet, welches nur über ein Minibecken verfügt, oder das Freibad. Niemals beides gleichzeitig. Insofern ist es nicht weiter verwunderlich, dass man sich an schönen Sommertagen auf den ausgedehnten Liegewiesen des Freibades breitmacht und seine Mitmenschen genauer unter die Lupe nimmt.

 

Suchen wir uns also ein gemütliches Plätzchen im Schatten, breiten unsere XXL-Badelaken aus, packen Proviant und Sonnenmilch darauf, legen uns hin und stellen uns schlafend. Und lauschen, denn hier kann man jederzeit - auch ohne Vorkenntnisse - in die dargebotenen Vorstellungen einsteigen.

 

Diese Vorstellungen laufen in der Regel immer nach dem selben Schema ab: Tratschobjekt X kommt auf Gruppe Y zu und wird zunächst überschwänglich begrüßt. So überschwänglich, dass selbst wir merken, dass das Schauspielerei auf unterstem Niveau ist. X macht das Spielchen mit und hat dabei ein Lächeln ins Gesicht getackert, das nach Muskelkater am nächsten Tag schreit. Sobald X und Ys übertrieben freudig für etwa 30 Sekunden Smalltalk gemacht haben, geht X ihrer Wege, mit einem Lächeln, das aus dem Gesicht fällt, sobald Gruppe Y der Rücken zugekehrt ist. Bei Gruppe Y hingegen geht jetzt das Hauptprogramm los:

"Die sieht aber schlecht aus. Ob die wohl Ärger mit ihrem Freund hat?"

"Der hat doch angeblich eine Neue. Erzählt jedenfalls der Cousin von …. der mit … zusammen ist, die mit der Schwester von X in der selben Firma arbeitet."

"Aber die wohnen doch noch zusammen!"

"Nee, er ist doch schon bei seiner Neuen eingezogen!"

"Ich habe aber gehört, dass sie ihn rausgeschmissen hat, weil sie wieder mit ihrem Ex zusammen ist."

"Der soll ja kurz zuvor noch ihre Freundin geschwängert haben."

"Die hat aber wohl abgetrieben, sonst würde man ja schon längst was sehen."...…. usw. usf. Was Gruppe Y nicht weiß: X hat einfach nur eine Erkältung, wollte sich aber trotzdem im Freibad ein wenig in die Sonne legen, ist nach wie vor glücklich mit ihrem Freund zusammen und weiß aus sicherer Quelle, dass zwei der Mädels aus Gruppe Y von ihren Männern betrogen werden.....

 

Auf der anderen Seite unseres Badelakens läuft das Gegenprogramm: Uschi, bekannt für ständig wechselnde Lebensabschnittsgefährten und Affären (momentan mit einem der Ehemänner aus Gruppe Y - die Kleinstadt ist halt ein Dorf), hält Hof. Uschi findet sich selbst nämlich ganz furchtbar toll und käme nicht im Traum darauf, dass irgendein Mensch auf der Welt in dieser Hinsicht anderer Meinung ist. In Uschis Leben passiert nicht viel. Eigentlich gar nichts. Arbeit, am Wochenende feiern, Haushalt, Freibad - so sieht Uschis Alltag aus. Langweilig. Finden wir jedenfalls. Uschi ist jedoch der Meinung, die nicht vorhandenen Highlights ihres spektakulären Daseins so laut herausposaunen zu müssen, dass man es bis zum Kiosk hören kann. Na gut, jetzt wissen zumindest auch die Pommes darüber Bescheid, wie man am besten Spermaflecken aus den Bettlaken bekommt...

 

Rund um das Kinderbecken werden weder Erziehungstipps noch Kochrezepte ausgetauscht - da wird der Nachwuchs der Mitmenschen genauestens begutachtet und anschließend bewertet.

"Also, der Thorben-Malte sieht seinem Vater ja Ü!BER!HAUPT! nicht ähnlich...."

"Die Serafina-Chantal ist eine verzogene Rotzgöre! Sowas würde es bei uns nicht geben!"

"Klemens-Korbinian soll angeblich hochbegabt sein. Und jetzt guckt das an: Hat Angst vor `nem Grashüpfer, das kleine Wunderkind."

"Justus-Ewald hat gerade eine DOPPELTE Portion Pommes ALLEIN verdrückt! Na, der soll mal so weitermachen...."

Selbstverständlich haben alle anwesenden Mütter wohlgeratene, manierliche und hübsche Kinder, die niemals aus der Reihe tanzen würden. Niemals!

 

...und dann gibt es noch die Unsichtbaren, jene Menschen, die möglichst unauffällig wie die Ratten zwischen den Badelaken her huschen, um ins Wasser zu kommen. WEIL SIE SCHWIMMEN WOLLEN! Unnötig zu erwähnen, dass sie sich damit höchst verdächtig machen! "Der rennt stur durch die Menschen und grüßt weder nach rechts noch nach links!"

"Der hat was zu verbergen! Seine Frau ist ja auch so komisch. Die sieht immer so eingeschüchtert aus. Ob er sie wohl schlägt?"

"Der hat doch gar keine Frau!"

"Wie? Ich dachte, der wäre mit … verheiratet?"

"Nee, der wohnt doch noch bei seinen Eltern!"

"Mit 45??? Der hat garantiert was zu verbergen!!!"

 

Wer nun aber denkt, nachmittags steppt im Freibad der Klatsch- und Tratschbär, der war noch nie morgens dort! "Ich wollte eigentlich nur 40 Bahnen schwimmen, aber dann habe ich Hildegard und Klaus-Dieter getroffen" ist halt immer noch die beste Ausrede. Zumal besagte Hildegard und Klaus-Dieter über fast jeden der morgendlichen knapp 15 Schwimmer genauestens im Bilde sind. Schwimmen muss man aber trotzdem, das ist ungeschriebenes Gesetz: Vor 11.00 h wird nur getratscht, wenn man dabei - gaaaaanz gemütlich - seine Bahnen zieht. Was die Lästermäuler allerdings nicht wissen: Wasser hat die dumme Angewohnheit, Stimmen sehr weit zu tragen. Da es im morgendlichen Freibad ansonsten keine Beschallung gibt, wissen dann also kurz darauf auch alle anderen Schwimmer über das Liebesleben, erfolglose Diäten, unmögliche Klamotten, Finanzen und Krankheiten derjenigen auf den Bahnen neben ihnen Bescheid. 

 

 

 

Und? Wart Ihr diesen Sommer auch schon im Freibad? ;-)