Buchbesprechung: "Kalt und still - Der erste Fall für Hanna Ahlander" von Viveca Sten

Rezensionsexemplar  


Erster Satz:

"Der Schnee bildet eine kompakte Decke, als Sebbe Granlund auf den Personalparkplatz am VM6 einbiegt, dem Sessellift mitten im Skigebiet, wo er als Saisonkraft arbeitet."




Kalt ist es dort oben im Norden Schwedens. Kalt und unwirtlich und vor allem eins: Still. Denn der Schnee schluckt sämtliche Geräusche, hält die Welt ein kleines bisschen an, lässt den ein oder anderen zur Ruhe kommen, innehalten, ausatmen.


Ausatmen, tief durchatmen, die Gedanken in Ordnung bringen - das ist es, was Hanna Ahlander dringend benötigt. Denn bei ihrer Arbeit bei der Stockholmer City-Polizei ist sie geächtet, seitdem sie einen Fall von Gewalt gegen Frauen, der zum Tod führte und bei dem einer ihrer männlichen Kollegen involviert war, nicht auf sich beruhen lassen wollte. Nachgebohrt hat. Keine Ruhe gegeben hat. Mit Gewalt gegen Frauen wird sie in ihrem Job tagtäglich konfrontiert und genau das zermürbt sie mehr und mehr. Nun wird ihr nahegelegt, sich ein anderes Arbeitsumfeld zu suchen. Sie ist raus aus ihrer gewohnten Truppe, man will sie dort nicht mehr, sie wurde zu lästig.


Ihr Freund Christian, der allererste Mann, der in den Augen ihrer Eltern Gnade fand, will sie auch nicht mehr. Er hat eine andere und setzt Hanna vor die Tür. So steht sie also da mit 34 Jahren, ist überall unerwünscht, hat kein Einkommen mehr und kein Dach über dem Kopf. Weil sie sich selbst treu geblieben ist, ihre Werte nicht verraten hat. 


"In ihrer Familie sind die Rollen seit langem festgeschrieben. Lydia ist die Tüchtige und Erfolgreiche, mit der die Eltern vor ihren Freunden in Spanien prahlen. Hanna ist das Nesthäkchen, über das sie lieber schweigen. Sie hat sie immer enttäuscht. Ihren unkonventionellen Lebensstil und später ihre Berufswahl haben ihre Oberschicht-Eltern nur mit viel Rotwein ertragen."


- Zitat Seite 25 -




Als Retterin in der Not erweist sich einmal mehr ihre große Schwester Lydia, die mit beiden Beinen fest im Leben steht und vor allem eins kann: Probleme angehen und diese schnell und effizient lösen. Sie bringt Hanna kurzerhand in ihrem luxuriösen Ferienhaus in Are am schwedischen Polarkreis unter. Lydias Familie nutzt es gerade nicht und so hat Hanna genug Raum und Zeit, um innerlich zur Ruhe zu kommen und zu überlegen, wie es weitergehen soll.


Die Ruhe der Abgeschiedenheit in Schnee und eisiger Kälte hat jedoch ein jähes Ende, als in dem kleinen Ort die 18-jährige Amanda vermisst wird. Sie kam nach einer Party nicht nach Hause und nun ist Eile vonnöten, denn das Thermometer zeigt minus 20 Grad an. Falls Amanda irgendwo verletzt liegt, wird sie diese Temperaturen nicht lange überleben.


Ehrensache für Hanna, dass sie sich den Suchtrupps anschließt und dabei zwangsläufig auch Kontakte mit der hiesigen Polizei knüpft, die momentan völlig unterbesetzt ist. Amanda wird nicht gefunden, jedoch ihre Kleidung. Komplett und zusammengelegt und genau das lässt Schlimmes befürchten. 


"Er versucht, sich die Szene vorzustellen, begreift widerstrebend, welche Absichten jemand hat, der sein Opfer in einer einsamen Berghütte festhält, wo niemand es finden kann. Oder es schreien hört.

Amanda ist ihrem Peiniger vollkommen ausgeliefert."


- Zitat Seite 151 -




Es beginnt eine fieberhafte Fahndung nach Amanda. Freunde, Lehrer, Nachbarn und Familienmitglieder werden verhört, einige Ungereimtheiten kommen zutage. Es gibt Verdächtige und der Leser beginnt, selber seine Urteile zu fällen. Wem würde man so eine Tat zutrauen? Wer benimmt sich merkwürdig? Wer hätte etwas davon, Amanda zu verschleppen?


Hanna bietet ihre Unterstützung an und wird zum ersten Mal in ihrem Leben freundlich empfangen und ernst genommen. Aufgrund der Personalknappheit steht schon recht bald die Möglichkeit im Raum, zur Polizei von Are versetzt zu werden - ein Lichtblick für Hanna, denn sie fühlt sich sehr wohl dort und wird von Kriminalkommissar Daniel Lindskog auf Augenhöhe wahrgenommen. 

"Tief in den Bergen weiss jeder, wie grausam die Natur sein kann. Grausamer ist nur der Mensch...."


- Zitat Klappentext -




Mit Hanna Ahlander hat die Autorin eine Protagonistin geschaffen, die man einfach mögen muss. Die neben ihrer erfolgreichen Schwester nie bestehen konnte und von den Eltern als "kleiner Unfall" bezeichnet wird. Die trotzdem unbeirrt ihren Weg geht, auch wenn er steinig und unbequem ist.

 

Das Örtchen Are wird als sehr ruhig und beschaulich dargestellt und trotz der Krimihandlung ist "Kalt und still" ein solches Wohlfühlbuch, dass man es in einem Rutsch weglesen will. Angenehm geschrieben mit gut gezeichneten Charakteren und einem konstanten Spannungsbogen.

 

 

 

M E I N    F A Z I T

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Ein absolut gelungener Reihenauftakt, der einen die Kälte und Stille des hohen Nordens geradezu greifen lässt, der einen jedoch auch wohlig umhüllt wie eine Wolldecke. Ein Buch, das den Leser an die Seiten fesselt, mitfiebern und -ermitteln lässt und am Ende den dringenden Wunsch nach mehr, nach dem zweiten Teil aufkommen lässt.


5 von 5 Glitzersternen





INFOS ZUM BUCH

 

TITEL: Kalt und still

UNTERTITEL: Der erste Fall für Hanna Ahlander

AUTORIN: Viveca Sten

VERLAG: dtv

 

ERSCHIENEN am 19.10.2022

REIHE: Teil 1

FORMAT: Paperback

PREIS: 16,95

SEITEN: 512

ISBN: 978-3-423-26338-2

 

AUS DEM SCHWEDISCHEN

von Dagmar Lendt

 

TITEL DER ORIGINALAUSGABE

"Offermakaren" 


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